DCF-/Ertragswertverfahren
Das Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF) ist ein international anerkanntes, zukunftsorientiertes Bewertungsverfahren. Es ermittelt den Unternehmenswert auf Basis abgezinster, künftiger Zahlungsströme und bietet eine hohe Granularität in der Abbildung individueller Geschäftserwartungen. In der M&A-Praxis, bei Investitionsentscheidungen und strategischen Bewertungen hat sich das Verfahren als Standard etabliert – setzt jedoch valide Planungsgrundlagen und methodische Disziplin voraus.
Allgemeines
Das DCF-Verfahren bewertet Unternehmen durch Abzinsung zukünftiger finanzieller Überschüsse – sogenannte Free Cashflows (FCF). Diese werden aus integrierten Unternehmensplanungen abgeleitet und unter Anwendung eines adäquaten Kapitalisierungszinssatzes (z. B. WACC oder Eigenkapitalkosten) auf den Bewertungsstichtag diskontiert.
Die Methode ist eng an die finanzwirtschaftliche Logik von Investoren und Kapitalmärkten angelehnt. Dabei werden typischerweise zwei Phasen betrachtet: eine explizite Planungsphase und eine anschließende ewige Rente (Terminal Value).
Gesetzliche Basis und rechtsprechung
Für das DCF-Verfahren existiert keine explizite gesetzliche Normierung. Es ist jedoch nach IDW S 1 als grundsätzlich anerkanntes betriebswirtschaftliches Bewertungsverfahren zulässig, sofern die zugrundeliegenden Planungen sachgerecht, realistisch und nachvollziehbar sind.
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Die Rechtsprechung – insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen wie Spruchverfahren (§§ 327b ff. AktG) oder bei Abfindungsgutachten – erkennt das DCF-Verfahren regelmäßig an, sofern die unterstellten Planwerte plausibel dokumentiert und die Kapitalkosten sachgerecht abgeleitet sind (vgl. z. B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.11.2020, Az. 20 W 2/18).
Methodik und Variante
Entity-Ansatz (WACC-Verfahren)
Der Entity-Ansatz stellt auf die Free Cashflows vor Zinsen und Tilgungen ab (unlevered). Der Unternehmenswert ergibt sich durch Abzinsung dieser FCF mit dem gewichteten durchschnittlichen Kapitalkostensatz (WACC). Anschließend wird der Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals abgezogen, um den Eigenkapitalwert zu erhalten.
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Equity-Ansatz (Flow-to-Equity)
Beim Flow-to-Equity-Ansatz werden die nach Schuldendienst verbleibenden Cashflows (nach Zinsen und Tilgungen) direkt mit den Eigenkapitalkosten abgezinst. Das Verfahren eignet sich insbesondere für stark fremdfinanzierte Strukturen oder wenn der Fokus auf dem Shareholder Value liegt.
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Terminal Value
Ein wesentlicher Bestandteil des DCF-Modells ist der sogenannte Terminal Value (Restwert), der häufig den Großteil des Gesamtwerts ausmacht. Er basiert meist auf der Annahme eines ewigen Wachstums ("Gordon Growth Model") oder einer Multiplikatormethode. Die gewählte Methode muss zur langfristigen Entwicklung des Unternehmens passen.
DCF v. Ertragswert-verfahren
Gemeinsamkeiten zwischen DCF-Verfahren und dem Ertragswertverfahren:
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Beide Verfahren basieren auf der Kapitalwertmethode und leiten den Unternehmenswert aus den zukünftigen finanziellen Überschüssen ab.
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In beiden Ansätzen erfolgt die Abzinsung der Überschüsse auf den Bewertungsstichtag.
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Beide Methoden sehen eine explizite Detailplanungsphase sowie eine anschließende ewige Rente (Terminal Value) vor.
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Sie setzen jeweils eine belastbare Unternehmensplanung voraus, um zu wirtschaftlich vertretbaren Ergebnissen zu gelangen.
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Sowohl das DCF-Verfahren als auch das Ertragswertverfahren gelten als anerkannte Bewertungsansätze bei unternehmerischen Transaktionen, Strukturmaßnahmen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Unterschiede zwischen DCF-Verfahren und Ertragswertverfahren:
Zielgröße:
Das DCF-Verfahren stützt sich auf Free Cashflows, also Zahlungsüberschüsse nach Investitionen und Veränderung des Working Capitals. Das Ertragswertverfahren hingegen basiert auf dem nachhaltig erzielbaren, ausschüttungsfähigen Gewinn nach Steuern.
Abzinsungssatz:
Im DCF-Ansatz erfolgt die Diskontierung mit einem kapitalmarktorientierten Zinssatz – z. B. dem WACC (Weighted Average Cost of Capital) oder den Eigenkapitalkosten. Das Ertragswertverfahren verwendet einen Kapitalisierungszinssatz, der sich aus einem risikofreien Basiszins und einem unternehmensspezifischen Risikozuschlag zusammensetzt.
Finanzierungsstruktur:
Das DCF-Verfahren kann dynamische Kapitalstrukturen modellieren, insbesondere im Equity-Ansatz. Das Ertragswertverfahren geht typischerweise von einer konstanten Zielkapitalstruktur aus.
Planungsinhalte:
Während das DCF-Modell auf vollständigen Finanzplänen aufbaut (inkl. Investitions- und Liquiditätsplanung), konzentriert sich das Ertragswertverfahren vorwiegend auf die Erfolgsrechnung und Ausschüttungspotenziale.
Konzeptionelle Ausrichtung:
Das DCF-Verfahren ist stark an den Bewertungslogiken des Kapitalmarkts ausgerichtet. Das Ertragswertverfahren folgt stärker einem betriebswirtschaftlich fundierten, objektivierten Bewertungsansatz mit Fokus auf den hypothetischen Durchschnittserwerber.
Anwendungsflexibilität:
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Das DCF-Verfahren ist methodisch offener und international anschlussfähig. Das Ertragswertverfahren folgt einem engeren formalen Rahmen, bietet dafür aber mehr Standardisierung und gerichtsfeste Vergleichbarkeit.
Anwendungs-bereiche und Grenzen
Typische Anwendungsfälle:
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Unternehmens(ver)käufe und M&A-Transaktionen
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Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen
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Bewertung immaterieller Vermögenswerte
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Internes Controlling und strategische Planung
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Stärken:
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Hohe Flexibilität und Detaillierungsgrad
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Zukunftsorientierung und Berücksichtigung unternehmensspezifischer Planungen
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Internationale Vergleichbarkeit
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Schwächen und Herausforderungen:
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Hoher Planungsaufwand und Unsicherheit bei langfristigen Prognosen
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Sensitivität gegenüber Inputgrößen (v. a. Kapitalkosten, Terminal Value)
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Gefahr von Modellierungsspielräumen bei Transaktionsbewertungen ("Bewertungsopportunismus")
Zusammenfassung
Das DCF-Verfahren zählt zu den anerkannten Standardverfahren der modernen Unternehmensbewertung. Es ermöglicht eine transparente und ökonomisch fundierte Herleitung des Unternehmenswerts auf Basis individueller Erwartungen zur Unternehmensentwicklung. Aufgrund seiner hohen Abhängigkeit von Annahmen ist eine kritische Auseinandersetzung mit Planungsprämissen und Kapitalkosten unerlässlich. Bei sorgfältiger Anwendung bietet das DCF-Modell jedoch eine präzise Grundlage für Entscheidungs- und Transaktionsprozesse.